Unsichtbarer Kollege

Künstliche Intelligenz verändert die Medienbranche

[Cortissimo] Inspiration

13.11.2019

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© LauferNeo

Heute schon den Wetterbericht oder aktuelle Fußballergebnisse gelesen? Dem Smart Speaker beim Frühstück gesagt, dass er das Radio anstellen soll? Das Handy mit der Gesichtserkennung entsperrt und schnell etwas gegoogelt? In allen Fällen hatten Sie wahrscheinlich Kontakt mit Künstlicher Intelligenz — sie steckt in zahlreichen Services, die wir täglich nutzen. Mal mehr, mal weniger offensichtlich.

Künstliche Intelligenz (KI) ist, nicht nur in den Medien und auf Kongressen, das Thema der Stunde: Die Bundesregierung widmete KI jüngst eine Ausgabe ihres Magazins Schwarzrotgold, das „Wissenschaftsjahr 2019“ untersucht KI aus allen möglichen Perspektiven von der Wissenschaft bis zur Literatur und immer mehr Start-ups entwickeln auf KI basierende Ideen, die sich in neuen Produkten und Services monetarisieren lassen — Anfang 2019 waren es nur in Deutschland bereits 164 (Quelle: schwarzrotgold — Das Magazin der Bundesregierung, Ausgabe 3/2019). Doch was ist dran am emotional aufgeladenen „Hype- Thema Künstliche Intelligenz“, wie es das Frankfurter Zukunftsinstitut kritisch nannte? Wohin führt ihre Entwicklung uns, wenn wir nicht mehr unterscheiden können, ob wir online mit einem Servicemitarbeiter oder einem Chatroboter sprechen und ob hinter dem Artikel, den wir lesen, ein echter Mensch steckt? Künstliche Intelligenz wird mittlerweile in vielen Feldern von der Forschung über die Kommunikation bis zu Medizin und Verwaltung eingesetzt. Wir wollen einen Blick auf die Medienbranche werfen. Hat sie sich durch KI verändert?

KI entlastet Mitarbeiter in Verlagne und Nachrichtenagenturen - sie ersetzt diese nicht.

Zunächst einmal: Was genau eine KI ist, wird von verschiedenen Experten unterschiedlich definiert. Schließlich wirft schon die Frage danach, was Intelligenz — sei sie menschlich oder künstlich — auszeichnet, zahlreiche Probleme auf. Gemeinhin wird unter KI eine selbstlernende Informatikanwendung verstanden, die dem neuronalen Netzwerk unseres Gehirns nachempfunden ist. KI kann spezifische Aufgaben selbstständig lösen, Muster und Zusammenhänge erkennen — das muss sie allerdings trainieren, was bedeutet: wiederholt mit großen Datenmengen versorgt werden. Die drei meistgenutzten Modelle des „Machine Learnings“ erklären wir im Glossar auf Seite 6. Ein einfaches Beispiel ist die Gesichtserkennung auf Fotos, die es mittlerweile auf vielen Computern und Smartphones gibt: Man markiert auf mehreren Fotos dieselbe Person, zum Beispiel „Mutti“. Durch jede Markierung lernt die Anwendung dazu und kann die Person schließlich immer schneller und zuverlässiger auf allen Fotos, auf denen sie zu sehen ist, erkennen und markieren. Das erleichtert die Möglichkeit, die private Fotosammlung zu katalogisieren und durchsuchbar zu machen, enorm — und wie sich denken lässt, wird diese Technik in Unternehmen, die täglich mit einer riesigen Flut an Bildern arbeiten, die sie speichern, auswerten und nutzbar machen sollen, häufig eingesetzt und spart Zeit und Kosten.

Beispiel Deutsche Presse-Agentur: Auf dem Innovationsblog der größten deutschen Nachrichtenagentur wird die Einführung von „Whizzually“ gefeiert — eine auf KI basierende Software, die automatisch Bilder verschlagwortet und somit auffindbar macht. Dazu analysiert „Whizzually“ Bildinhalte und gibt eine Bildbeschreibung, Personenbeschreibung und Tags zum Bild aus. Ein einzelner Redakteur könnte das in derselben Zeit nicht leisten. Im nächsten Schritt wurde die automatische Verschlagwortung von Texten mittels KI in Angriff genommen — mit „Viper“. Die Schlagwörter, die nun beispielsweise in den „Blaulicht-Meldungen“ auf presseportal.de angezeigt werden, bieten Lesern „Querverweise zu anderen Inhalten mit gleichen Themen, Orten oder Personen“ und sind „auch im Hinblick auf positive SEO-Effekte von großer Bedeutung“ (Quelle: Innovationsblog). Anfang April 2019 kam dann bei der dpa der KI-Kollege „Tex“ hinzu: Täglich treffen in großer Zahl Einladungen zu Veranstaltungen in unterschiedlichen Formaten in Redaktionen und Pressestellen ein. Die Software durchforstet E-Mails und verwandelt als Einladungen identifizierte Nachrichten automatisch in Einträge in der dpa-Termindatenbank, die dann von der Redaktion weiterbearbeitet und veredelt werden. Klingt simpel, erfordert von der KI aber umfassendes technisches und linguistisches Know-how — schließlich muss „Tex“ lernen, an welcher Stelle der E-Mail sich welche Informationen verbergen. Am Ende der KI-gestützten Verwertungskette steht der Bezahlservice „dpa-Agenda“. Ein gutes Beispiel, wie KI die Arbeit in Medienunternehmen verändert und für neue Produkte genutzt wird, die es Journalisten erlauben, sich wichtigeren Tätigkeiten wie der Recherche zu widmen als dem Eintragen von Terminen in einen Kalender.

Doch KI kann für die Medienbranche noch viel mehr leisten als nur Texte und Bilder (mittlerweile auch Videos) auszulesen und Metadaten zu generieren. Sie kann automatisiert Texte verfassen — und wird in dieser Funktion schon heute in vielen Redaktionen zum Beispiel für kurze faktenreiche Gebrauchstexte wie Wetterberichte, Fußballergebnisse oder Börsennachrichten eingesetzt. Die Voraussetzung: strukturierte Daten und Textmodule. Die Washington Post generiert so bereits ihre Vorspanne, wie auf der Leipziger Buchmesse 2019 berichtet wurde. Und laut dem NDR lässt die amerikanische Wirtschaftsnachrichtenagentur Bloomberg schon ein Drittel ihrer Bilanzberichte von KI schreiben. In Deutschland ist man da noch etwas vorsichtiger und verwendet KI lieber als nützliches Werkzeug, um Hasskommentare aus den sozialen Medien zu filtern, Falschmeldungen zu entlarven oder, wie bei SPIEGEL online, automatisiert Infografiken und Transkriptionen von Audioaufnahmen zu erstellen.

Ist es wichtig, dass ein Mensch den Wetterbericht schreibt?

Wie aber bewerten die Adressaten, also Leserinnen und Leser den Einsatz von KI in Redaktionen? Müssen wir Angst haben vor einem „Roboterjournalismus“ (ein Begriff, der bereits 2014 existierte)? Wie stark sind die in Science- Fiction-Filmen vermittelten Bilder einer KI mit Bewusstsein, die nichts Gutes im Schilde führt? Bestimmt ein „Terminator“ in Zukunft, was wir lesen und sehen? Laut einer im August 2019 veröffentlichten online-repräsentativen Studie von Statista, die nextMedia.Hamburg, die Standortinitiative für die Hamburger Medien- und Digitalszene, durchgeführt hat, gewöhnen wir uns recht schnell an KI. 83 Prozent der Deutschen — so eine weitere Studie — können sich vorstellen, mit KI zu kommunizieren — eine Steigerung um satte 25 Prozentpunkte innerhalb eines Jahres. Und: Nur 39 Prozent können einen Text, der von einer KI stammt, von einem Text unterscheiden, der von einem Menschen stammt (Quelle: Media Innovation Report 2019). Allerdings waren die zwei verglichenen Texte tatsächlich nur Kurzmeldungen — eine lesenswerte Feature-Story oder einen Essay zu schreiben, gelingt einer KI nicht.

Und wird es wohl auch niemals gelingen. Die Ludwig-Maximilians-Universität München befragte 2019 mehrere Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler zu den Grenzen der Künstlichen Intelligenz. Prof. Dr. Markus Paulus, Inhaber des Lehrstuhls für Entwicklungspsychologie und Pädagogische Psychologie II, betont, dass die menschliche Intelligenz viel mehr umfasse als Inselkompetenzen, die bei Robotern simuliert werden können. „Unsere begrifflichen Vorstellungen und Konzepte sind historisch gewachsen, sie sind Teil einer sozialen Lebensform. Nur ein Wesen, das in dieser Kultur aufwächst, kann sie wirklich verstehen“ (Quelle: LMU München). Außerdem entwickele sich Empathie nicht, wenn man, wie Maschinen, nicht nachfühlen könne. „Da ist ein fundamentaler Unterschied zwischen Roboter und Mensch, sodass Künstliche Intelligenz niemals menschliche Fähigkeiten erreichen kann.“ Und die braucht es nun mal, um beispielsweise einen Essay über die Bedeutung von Romantik in Zeiten des Online-Datings zu schreiben.

Trotzdem dringt KI längst auch in den menschlichen Bereich der Kreativität vor: Es gibt Musik, die von KI geschrieben wird und „am Selbstverständnis einer ganzen Kreativbranche“ rüttelt („KI will rock you!“ titelte 2017 die ZEIT). Der Filmscore, den die KI-Software AIVA komponiert („The Artificial Intelligence composing emotional soundtrack music“) klingt so (un)verwechselbar wie jede zweite orchestrale Filmmusik. Und: Es gibt „KI-Kunst“ — und die wird sogar teuer gehandelt. Im Auktionshaus Christie’s wurde im Oktober 2018 das Porträt „Edmond de Belamy“ für über 400.000 US-Dollar versteigert. Die Malerin: eine Künstliche Intelligenz. Dahinter steckt das Künstlerkollektiv Obvious, das die KI vorher mit über 15.000 Porträts gefüttert hatte.

Noch dienen solche Extremprodukte der Digitalisierung vorrangig als aufsehenerregende Medieninszenierungen. Sie können aber dazu führen, dass wir die Bedeutung von Autorschaft und die Frage, was Kreativität ausmacht, neu diskutieren und dabei vielleicht unser Verständnis erweitern. Um aus dem Media Innovation Report zu zitieren: 77 Prozent der Deutschen wünschen sich, „dass KI-Anwendungen als solche erkennbar bleiben sollten“. Es scheint einen Unterschied zu machen, wie wir einen Text (oder Musik) wahrnehmen und bewerten, wenn wir wissen, dass eine KI ihn erstellt hat. Bei Wetterbericht und Verkehrsmeldung macht es uns weniger aus als bei politischen Berichten, Büchern oder Musik, lässt sich der Studie entnehmen. Über die Gründe kann man trefflich spekulieren.

Wird KI die Druckbranche revolutionieren?

Die Einsatzmöglichkeiten von KI in der Medienbranche sind, wie dargestellt, zahlreich — noch ersetzt KI aber keine Arbeitsplätze in der Medienbranche, sie verändert die Arbeit nur. Vieles wird heute automatisiert, wofür die Zeit beispielsweise einer Redakteurin zu wertvoll ist. Wie sieht es aber mit Künstlicher Intelligenz aus, wenn man von der Zeitungsredaktion in die Zeitungsdruckerei schaut? Auch hier wurden viele Prozessschritte im Zuge der Digitalisierung automatisiert. Etwa mithilfe Künstlicher Intelligenz? Udo Paas, Prozessmanager Digitale Vorstufe in der Druckerei Konstanz, rückt übertriebene Erwartungen gerade: „Künstliche Intelligenz wird bei uns im Bereich Zeitungsdruck derzeit nicht eingesetzt“, stellt Paas klar, „zumindest keine Software, von der ich der Ansicht bin, dass es sich um eine Künstliche Intelligenz handelt.“

Allerdings laufen in Konstanz viele Prozessschritte mittlerweile so vollautomatisch ab, dass man dahinter durchaus eine KI vermuten könnte. Beispiel SÜDKURIER: Die Tageszeitung wird von der Druckerei Konstanz im wasserlosen Rollenoffsetdruck auf der Cortina produziert — „im Idealfall zu einhundert Prozent automatisch“, so Paas. Der Automatisierungsprozess beginnt schon im Verlag mit dem Redaktionssystem, in das die Redakteurinnen und Redakteure Texte und Bilder einfügen, und läuft in der Druckerei weiter. So geschieht die Seitenausgabe, also das Prüfen und Belichten der fertig erstellten Seiten auf die Druckplatte, in einem vollautomatischen Workflow. Anders wäre es auch kaum möglich: Die Druckdaten durchlaufen so viele Schritte, dass sie sich zeitlich und personell nicht mehr von Hand regeln und bearbeiten ließen. Sie werden im sogenannten Preflighting automatisch analysiert und geprüft. Und auch die Bildoptimierung läuft ohne menschliches Zutun ab — die eingesetzte Software analysiert die Bilder, verbessert beispielsweise Kontraste und Hauttöne und schafft so eine konstante Qualität. Ganz ohne KI — noch.

Die Entwicklung in anderen Produktionsbranchen in Betracht ziehend, wird die Künstliche Intelligenz ihr Potenzial zukünftig auch in Druckereien verstärkt unter Beweis stellen und zu bislang ungeahnten Services führen. Vielleicht feilt eines der 164 deutschen KI-Start-ups genau in diesem Moment schon an der nächsten großen Idee, die die Printproduktion revolutionieren wird. Der Akzeptanz von KI wird es sicherlich nutzen.


Weitere Inspirationen

Der Druck auf der Zeitungsrolle bringt uns zudem den Vorteil, dass wir bis zum Vorabend des Andrucks aktuell an der Ausgabe arbeiten können.

Dr. Dieter Hilla, Bayer Aktiengesellschaft, Employee Communications/direkt/BNC